Ausfälle vorhersehen, bevor sie auftreten

 Dr. Maximilian Beinhofer: Der promovierte Informatiker treibt mit seinem Team das Thema prädiktive Instandhaltung voran.
Dr. Maximilian Beinhofer: Der promovierte Informatiker treibt mit seinem Team das Thema prädiktive Instandhaltung voran.Bild: TGW Logistics Group GmbH

Im Rahmen der Industrie-4.0-Entwicklung soll der Stillstand intralogistischer Anlagen der Vergangenheit angehören, weil der Zustand wichtiger Komponenten überwacht wird. Die Kunst besteht darin, die Anlagenverfügbarkeit permanent zu optimieren, betont Dr. Maximilian Beinhofer, Head of Cognitive Systems Development bei TGW.

dhf Intralogistik: Was sind die Nachteile, wenn Wartungsarbeiten erst dann ausgeführt werden, wenn eine Komponente nicht mehr funktioniert?

Dr. Maximilian Beinhofer: In so einem Fall reden wir von korrektiver Instandhaltung. Damit kann einhergehen, dass eine Maschine oder eine Anlage teilweise oder komplett stillsteht. Das heißt: Die Verfügbarkeit wird reduziert, was unter Umständen betriebswirtschaftliche Nachteile für den Nutzer mit sich bringt. Ein weiteres Problem: Eventuell muss der Fehler erst gesucht werden, das kostet wertvolle Zeit.

dhf Intralogistik: Man könnte Verschleißteile alternativ einfach regelmäßig austauschen…

Dr. Beinhofer: Ja, das nennt man präventive Instandhaltung. Dabei geht es darum, dass aufgrund von Erfahrungswerten bestimmte Wartungs- oder Austauschzyklen festgelegt werden. Das garantiert eine sehr hohe Anlagenverfügbarkeit. Der Nachteil: Die Kosten sind höher, weil auch Teile getauscht werden, die noch einen Abnutzungsvorrat haben. Die große Kunst besteht darin, den idealen Zeitpunkt zu finden – sowohl für den Wartungsgeber als auch den Wartungsnehmer. Eine gute Lösung ist daher das Condition Monitoring, also die Zustandsüberwachung, sowie die prädiktive Instandhaltung. Auf Basis sogenannter digitaler Zwillinge gilt sie als eine der zentralen Innovationen im Bereich Industrie 4.0.

dhf Intralogistik: Wie funktioniert prädiktive Instandhaltung?

Dr. Beinhofer: Mithilfe der Zustandsüberwachung von Komponenten über Sensoren kann man in der Software darstellen, ob sich ein Problem anbahnt. Idealerweise geschieht das in Echtzeit oder nur mit minimaler Verzögerung. Der Kern unseres Ansatzes lautet: Mit smarter Algorithmik, also Methoden aus dem Bereich Machine Learning und Data Science, vernetzen bzw. fusionieren wir bei TGW bereits vorhandene Daten aus den Sensoren so intelligent, dass wir sehr exakte Aussagen über den Zustand bzw. den Verschleiß von Komponenten treffen können. Das spart Kosten, weil wir keine zusätzlichen Sensoren anbringen müssen.

dhf Intralogistik: Haben Sie ein Praxisbeispiel?

Dr. Beinhofer: In unserem preisgekrönten Pickroboter Rovolution messen wir den Zustand des Vakuums in der Greifvorrichtung. Kommt es etwa aufgrund von Staubbelastung der Umgebung zu einem Druckverlust, sehen wir das sofort und können reagieren.

dhf Intralogistik: Wie geht man mit älteren Anlagen um, die nicht über die nötigen Sensoren verfügen?

Dr. Beinhofer: Man kann zusätzliche Sensoren, z.B. für die Messung von Vibrationen, anbringen. Je nach Größe der Anlage können dabei von einigen wenigen bis mehr als hundert Sensoren benötigt werden, wodurch im Vorfeld unbedingt eine Wirtschaftlichkeitsanalyse durchgeführt werden sollte. Grundsätzlich gilt aber, dass auch bestehende Intralogistikanlagen nachrüstbar sind.

dhf Intralogistik: Was ist der Unterschied zwischen prädiktiver und präskriptiver Instandhaltung?

Dr. Beinhofer: Die beiden Ansätze bauen aufeinander auf. Als Basis der prädiktiven Instandhaltung benötigt man die Zustandsüberwachung. Hier reicht es nicht zu wissen, ob ein Sensor belegt ist oder nicht. Es geht darum, wie weit der Verschleiß fortgeschritten ist. Liegen diese Daten vor, kann man mithilfe prädiktiver Instandhaltungssoftware eine Prognose erstellen, dass eine Komponente ab einem bestimmten Wert z.B. noch ungefähr drei Monate hält. Die präskriptive Instandhaltung gibt dann den Ratschlag, in drei Monaten genau dieses oder jenes zu machen.

dhf Intralogistik: Welche Hauptvorteile bietet prädiktive Instandhaltung?

Dr. Beinhofer: Im Prinzip geht es um Optimierung der Anlagenverfügbarkeit bei niedrigsten Kosten. Zudem wird die Feedback-Schleife laufend verbessert. Algorithmen stellen sicher, dass sich das selbstlernende System permanent optimiert.

dhf Intralogistik: Welche Herausforderungen werden dabei an Sie gestellt?

Dr. Beinhofer: Zum einen geht es darum, mit dem geringsten Aufwand den größten Hebel zu erzeugen. Zum anderen besteht die technische Herausforderung darin, die Netzwerke der Anlage so zu nutzen, dass die benötigten Daten für die Predictive Maintenance-Software übertragen werden können. Die dritte Herausforderung sind die Feedback-Schleifen. Wenn in der Fördertechnik Probleme auftreten, müssen die Techniker vor Ort das melden. Als Hersteller muss man Methoden entwickeln, damit Feedback zum einen unmittelbar erfolgt und zum anderen auch maschinell auswertbar ist.

dhf Intralogistik: Wie wird das sichergestellt?

Dr. Beinhofer: Um die Algorithmen trainieren zu können, muss man genau wissen, wann eine Wartung erfolgte und was exakt gemacht wurde. Sonst glaubt das System, dass sich von selbst eine Verbesserung eingestellt hat. Dieser Report darf aber kein frei formulierter Text des Technikers sein. Es müssen standardisierte Antworten aus einem Drop-Down-Menü sein, denn man braucht maschinenlesbare Daten, um das Machine Learning-System trainieren zu können. Gleichzeitig muss die Feedback-Schleife schnell und einfach zu bedienen sein, damit der Wartungstechniker das Feedback rasch geben kann.

dhf Intralogistik: Für welche Module entwickelt TGW prädiktive Instandhaltung?

Dr. Beinhofer: Beim Pickroboter Rovolution ist Condition Monitoring schon verfügbar. Parallel dazu entwickeln wir eine spezielle Cloudlösung zur Datenerfassung und -verarbeitung. Im Prinzip geht es darum, dass von der Mechatronik bis zur IT künftig alle Daten erfasst werden sollen – selbstverständlich werden dabei die Vorschriften der DSGVO und Datensicherheit eingehalten. Wir erfassen die Daten mehrerer Kunden. Das hat den Vorteil, dass ein Neukunde von den Daten der Bestandskunden profitiert und von der Software Ratschläge erhält, was er tun soll, um seine Anlage zu optimieren. Am Ende des Prozesses steht der digitale Zwilling. Dabei kann man nicht nur im Replay-Modus analysieren, was passiert ist, sondern auch in Echtzeit sehen, was gerade geschieht. In einem weiteren Schritt kann man auch in die Zukunft schauen und Vorhersagen treffen.

dhf Intralogistik: Wie wird sich die Nachfrage nach Lösungen aus dem Bereich prädiktive Instandhaltung entwickeln?

Dr. Beinhofer: Das Thema ist derzeit populär. Ich gehe davon aus, dass in fünf bis zehn Jahren nur noch Anlagen verkauft werden, die diesen Service bieten. Bei großen Einzelmaschinen ist es bereits jetzt üblich, dass ein Vibrationssensor zum Einsatz kommt. Bei den großflächig vernetzten intralogistischen Anlagen gibt es momentan noch verschiedene Strategien.

dhf Intralogistik: Sehen die Kunden den Benefit und sind willens für solche Services zu bezahlen?

Dr. Beinhofer: Ich glaube, dass sich langfristig die Geschäftsmodelle, die hinter Wartungsverträgen stehen, verändern werden. Die neuen Tools und Services bieten Vorteile für Kunden – und diese Vorteile werden am Ende in der Gesamtkostenbetrachtung (TCO, Total Cost of Ownership) sichtbar. Dementsprechend werden wir unsere Geschäftsmodelle anpassen.

dhf Intralogistik: Herr Dr. Beinhofer, ich bedanke mich für das interessante Interview und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.

Das könnte Sie auch Interessieren

Bild: Ferag AG
Bild: Ferag AG
Unified-Control-System 
für das Lager der Zukunft

Unified-Control-System für das Lager der Zukunft

Lagerverwaltungssoftware revolutioniert die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Lagerbestände organisieren, verfolgen und optimieren, indem sie effiziente Prozesse, Echtzeit-Daten und automatisierte Funktionen bereitstellt. Letztendlich ermöglicht eine effektive Lagerverwaltungssoftware Unternehmen, flexibler zu sein, sich schneller an sich ändernde Marktbedingungen anzupassen und somit rentabel und wettbewerbsfähig zu bleiben und nachhaltig zu wachsen. Trotz Vorteilen, die auf der Hand liegen, sind die mit der Implementierung verbundenen Kosten und Prozessumstellungen nicht selten eine Hemmschwelle, die Unternehmen überwinden müssen. Ferag.doWarehouse ist eine innovative Software, welche die Standards für die Lagerverwaltung neu definiert. Sie bietet eine ebenso unkomplizierte wie maßgeschneiderte Lösung für Unternehmen jeder Größe und Komplexität.

Bild: GIS AG
Bild: GIS AG
Rigging-System 
für Multifunktionsarena

Rigging-System für Multifunktionsarena

Im Oktober 2022 konnten die ZSC Lions ihr neues Heimstadion einweihen. Die Swiss Life Arena ist nicht nur eines der größten Eishockeystadien der Schweiz, sondern vor allem auch eine Multifunktionsarena mit modernster Infrastruktur für die unterschiedlichsten Events und Anlässe. Zur Ausstattung gehört ein Rigging-System an der Hallendecke, das in Zusammenarbeit mit den Firmen B+T Bild+Ton und GIS realisiert wurde. Es besteht aus sechs Traversen und insgesamt 30 Elektrokettenzügen, die bequem über einen Touch-Controller gesteuert werden können.

Bild: MHP Management- und IT-Beratung GmbH
Bild: MHP Management- und IT-Beratung GmbH
Sportwagenhersteller setzt 
auf zentrale Leitsteuerung

Sportwagenhersteller setzt auf zentrale Leitsteuerung

Porsche bindet in der Intralogistik Automated Guided Vehicles (AGVs) ein, die ab sofort über den MHP FleetExecuter gesteuert werden. Damit setzt der Autobauer erstmals in der Unternehmensgeschichte auf eine zentrale Flottenleitsteuerung. Die in die bestehende IT-Infrastruktur integrierte Cloud-Lösung ist in den Stammwerken in Zuffenhausen im Einsatz. Dort dient sie als funktionaler Core der Automatisierung des Logistikprozesses. In Kürze sollen weitere Roll-outs folgen, etwa beim Bau des Taycan. Geplant sind zahlreiche Projekte, bei denen insgesamt mehrere hundert Fahrzeuge in unterschiedlichen AGV-Flotten mit über 300 Funktionen im Einsatz sind. Die Tochtergesellschaft von Porsche ist dabei für Beratung, Implementierung, Produktentwicklung sowie Service und Support verantwortlich.

Bild: MiR Mobile Industrial Robots ApS
Bild: MiR Mobile Industrial Robots ApS
Kollaborative Sicherheit

Kollaborative Sicherheit

Die fortschreitende industrielle Automatisierung hat ein neues Stadium erreicht: Autonome mobile Roboter (AMR) sind mittlerweile aus Produktionshallen und Logistikzentren weltweit nicht mehr wegzudenken. Diese Technologie ermöglicht es Unternehmen, eine breite Palette von Aufgaben und Prozessen zu automatisieren, was zu einer signifikanten Steigerung der Produktivität und wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit führt. Doch gleichzeitig müssen wir uns den neuen Sicherheitsherausforderungen stellen, die mit der Integration dieser Systeme einhergehen. In diesem Zusammenhang stellt sich die zentrale Frage, wie AMR dazu beitragen können, die physischen Sicherheitsstandards in der Industrie zu erhöhen und gleichzeitig die Resilienz gegenüber Cyberangriffen zu stärken.