
Die Zahlen sind beeindruckend: 100.000 verschiedene Artikel, rund 500.000 Tradeunits pro Tag, 250.000 Palettenstellplätze, 136.000 Trayplätze und 240.000 Behälterstellplätze – ein Projekt der Superlative, das bis 2021 realisiert wird. Vom Fenster aus kann Thomas Kissling von Migros-Verteilbetrieb in Neuendorf bei gutem Wetter die Schweizer Berge am Horizont erkennen. Er verantwortet den Non-Food-Bereich der Schweizer. Um den Panoramablick beneiden ihn viele. Doch Kissling hat in diesen Tag wenig Zeit für Blicke in die Berge. Das Alltagsgeschäft und die Baustelle fordern ihn.
Parallel zu den noch manuellen Lagerprozessen installieren Witron-Techniker/innen im riesigen, sich auf mehreren Etagen streckenden Non-Food-Lager die neuen Systeme. Kissling fasst das Gesamtprojekt am Standort zusammen: „Wir lösen im Tiefkühlbereich ein bestehendes Schäfer-System durch das OPM von Witron ab, erweitern dort für das Denner Sortiment. Im Non-Food-Bereich erweitern wir die Logistik um das AIO-System, ein OPM, ein CPS und, um der steigenden E-Commerce-Nachfrage gewachsen zu sein, automatisieren wir die Online Prozesse weiter.“ Aus Neuendorf werden im Non-Food-Bereich Filialbestellungen, Filialabholungen (Click + Collect) und Onlinebestellungen versendet.
Es muss Logistik 4.0 heißen

Ein anspruchsvolles Projekt. Für manche Beobachter wohl zu anspruchsvoll. Die Lokalzeitung titelte bei der Präsentation der Pläne „Logistik 0.4“. Kissling lacht. Er und sein Team machen schon einen größeren Sprung. „Es muss 4.0 heißen, denn wir investieren stark in Automatisierung, neue IT-Infrastruktur, Supply-Chain-Intelligenz, neue Prozesse und Absatzkanäle“, ist Kissling stolz und muss über die Schlagzeile immer noch schmunzeln.
Kissling muss das Non-Food-Sortiment managen. Die Herausforderung im Migros-Verteilbetrieb: Die Waren werden auf mehreren Etagen gelagert und das Logistikzentrum ist sehr groß – in Summe über 490.000m² Logistikfläche. Bis dato kommissionieren die Schweizer manuell. „Unser Ziel ist es, dass wir nahezu 100 Prozent der Pickeinheiten automatisiert bzw. teilautomatisiert kommissionieren können. Einige Ugly-Artikel wird es immer geben. Das bedeutet: 500.000 Trade Units werden an Spitzentagen auf rund 9.300 Paletten versendet. Dazu kommt das wachsende E-Commerce-Geschäft von Migros. Wir wünschen uns Skalierbarkeit im E-Commerce-Geschäft“, fasst Kissling die Hauptanforderungen zusammen.
Das System soll mitwachsen. Mit dem Tagesgeschäft atmen können, flexibel auf sich verändernde Marktvolumina reagieren. Agilität und Skalierbarkeit sind hier die zentralen Stichworte. Darüber hinaus sieht Kissling weitere Vorteile in der Automatisierung: „Die Ergonomie – da körperlich schwere Arbeiten wegfallen. Die Nachhaltigkeit – durch die Reduzierung von Transportkosten aufgrund optimal gepackter Ladungsträger sowie durch die Reduzierung von Beständen. Eine hohe Wirtschaftlichkeit – durch die Senkung der Colli-Kosten pro Pick“.
Premium-Kundenservice für alle Vertriebswege
Und ihre Kunden haben die Schweizer natürlich auch im Blick: Premium-Kundenservice für alle Vertriebswege – sowohl bei Filial- als auch bei E-Commerce-Aufträgen. Das bedeutet: Storefriendly kommissionierte Paletten, Rollcontainer und Behälter, optimal gefüllte Versandkartons in der richtigen Größe, weniger Abfall, termingerechte Anlieferung und verbrauchfreundliche Preise.


Die Verantwortlichen entschieden sich für das neue AIO-System von Witron und beschreiten damit den Weg hin zu einem Omnichannel-Lager. AIO steht für All in One Order Fulfillment, von einer nächsten Generation des „Piece Pickings“ sprechen die Entwickler in Parkstein.
Der Migros Verteilbetrieb ist Erstkunde für das System. Das All-in-One kann sowohl den Filialbetrieb, die Zustellung von Online-Bestellungen in der Filiale (Click + Collect) als auch den E-Commerce bis zur Haustür des Kunden handeln. „Das Artikelspektrum liegt bei rund 100.000 verschiedenen Artikeln, die wir für alle Kanäle vorhalten müssen“, erklärt Robert Venzl von Witron. Zusammen mit Josef Pollinger betreut er das Projekt und ist immer wieder mehrere Tage vor Ort auf der Baustelle. Das außergewöhnliche an AIO ist, dass bewährte Grundsatztechnologien zu einem integrierten System verschmolzen werden – und somit die Synchronisierung von verschiedenen Systemen und das Mehrfachhandling von Beständen völlig entfallen. Zudem kann AIO auf Marktveränderungen systemimmanent flexibel reagieren. Durch das AIO kann sowohl das Filialgeschäft als auch das Onlinegeschäft abgewickelt werden. „Das Onlinegeschäft greift auf die gleichen Bestände zu, hat aber separate Pickplätze“, erklärt Venzl. „Prozesse, die bei konventioneller Lagerlogistik in zwei getrennten Sektoren abgewickelt werden und anschließend aufwändig konsolidiert werden müssen, erledigt das System in nur einem integrierten Lagerlogistik-System, was nicht nur die Effizienz, Performance und Qualität der Kommissionier- und Packprozesse deutlich steigert, sondern auch erhebliche Einsparungen beim Invest ermöglicht“, ergänzt Pollinger stolz. „Der Wegfall des größten Teils der Konsolidierung der Online Lieferungen ist ein riesiger Vorteil für uns“, bestätigt Kissling.
Hohe Flexibilität durch Omnichannel-Lager
Dazu kommt eine kompakte Bauweise und kurze, transparente Materialflüssen. Dies hat zur Folge, dass in der Lagerlogistik kaum verbindende Fördertechnik benötigt wird. Das System kann also beides – E-Commerce und Filialgeschäft, ein Omnichannel-Lager eben. Das erhöht die Flexibilität für die Migros-Verteilbetrieb Neuendorf AG. „Und wir haben eine Skalierbarkeit für das Geschäft“, ergänzt Kissling.