Angesicht der Lieferkettenprobleme der letzten Jahre sind Lager wieder en vogue. Lager bieten die notwendige Sicherheit vor Lieferengpässen. Dabei wird die Skalierung von Lagern wird immer schwieriger, weil Lagerpersonal kaum mehr zu finden ist. Für Unternehmen ist die Überlegung daher richtig, Mitarbeiter dort einzusetzen, wo deren Flexibilität und Lösungskompetenz gefragt ist. Viele Unternehmen setzen daher auf iterative Automatisierung durch autonome Fahrzeuge, intelligente Scanner und ausgefeilte KI-Systeme für die Warendisposition.
In der Regel ist in diesen Lagern aber noch „Licht“, weil darin Menschen arbeiten. Sie sind Maschinen beim Picken loser Waren, nicht standardisierte Verpackungen und der Lösung plötzlich auftretender Probleme klar überlegen. Hochgradige Automation bietet sich dagegen bei repetitiven Aufgaben an.
Roboter brauchen kein Licht
Das höchste Niveau der Lagerautomatisierung ist die Migration zu einem vollständig automatisierten Warenlager. Ein solches wird häufig auch als ASRS (Automated Storage and Retrieval System) bezeichnet. In den Lagerhallen selbst arbeiten keine Menschen mehr. Wenn dann sind menschliche Mitarbeiter am Eingang oder Ausgang des Lagers zu finden. Für sie wäre der Aufenthalt im Lager gefährlich, weil die dort agierenden Maschinen davon ausgehen, dass ihnen nichts im Weg steht und sie mit Höchstgeschwindigkeit fahren können. Diese Lager werden als Dark Warehouses bezeichnet, da sie im Normalbetrieb ohne Beleuchtung auskommen.
Vorteile von Dark Warehouses 3 Sie nutzen den Platz für den Warenumschlag optimal aus und erreichen die höchste Packungsdichte, die in einem Lager möglich ist. 3 Sie senken Arbeitskosten für humanoide Mitarbeiter und Eingriffe auf ein Minimum. Das Lager läuft 24 Stunden am Tag ohne Schichtwechsel oder Pausenzeiten.
3 Sie erhöhen die Picking-Qualität und senken die Fehlerrate, das gilt auch in Bezug auf präzise Ablage in vorgefertigte Behälter. 3 Sie erhöhen die Geschwindigkeit beim Picking und dem Warentransport innerhalb des Lagers. 3 Sie senken den „Schwund“ von Waren und verbessern die Inventory-Daten-Qualität. Es muss auch weniger gezählt und kontrolliert werden, weil die Anzahl der SKUs ohne Auftrag sich nicht verändern kann. Der Warenbestand ist also immer gültig und muss nicht extra geprüft werden.
3 Sie können den CO2-Ausstoß verringern, weil die optimierten Bewegungen der Kräne und Roboterarme den Stromverbrauch senken. Unterschiede zu traditionellen Lagern
Damit die Vorteile zur Geltung kommen, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. So müssen in einem Dark Warehouse die Verpackungen der Waren standardisiert sein und sich auf wenige unterschiedliche Packungsgrößen verteilen. Roboter haben nur eine begrenzte Anzahl an Greifern und können keine beliebigen Gegenstände sicher fassen. Gibt es also eine Vielzahl an verschiedenen Waren (eventuell sogar lose, also ohne Verpackung oder normiertem Behälter), ist eine vollständige Automatisierung eventuell nicht zielführend.
Außerdem darf es in einem vollständig automatisierten Warenlager keine unvorhergesehenen Ereignisse geben, da es dort keine Menschen gibt, die solche Situationen unkompliziert lösen können. Bei der Konzeption eines Dark Warehouses müssen daher alle möglichen Ausnahmesituationen im Vorfeld ermittelt und automatisiert werden. Dies ist die größte Herausforderung bei der Planung, die besonderes Know-how verlangt und von Unternehmen häufig unterschätzt wird.
Noch in der Planungs- und Konzeptionsphase des Lagers ist daher ein ausgiebiges Testing aller Workflows und Abläufe (inklusive aller möglichen Ausnahmesituationen) in einer Simulationsumgebung notwendig. Diese muss ein vollständiges Abbild der zukünftigen Logistikhalle sein; der digitale Zwilling beinhaltet also auch die Hardware und verhält sich exakt so wie das später aufgebaute Dark Warehouse. Dies ermöglicht intensive Tests, auch wenn noch keine physischen Maschinen im Einsatz sind.
Steht das Dark Warehouse, müssen sich Unternehmen außerdem auf eine mehrmonatige Optimierungsphase einstellen. Dabei werden Abläufe erfasst, analysiert und kritisch betrachtet, um beispielsweise Bottlenecks zu ermitteln und die Steuerung bei verschiedener Auslastung des Lagers zu bewerten. Üblicherweise kommt es bei einer Lagerauslastung von 85 Prozent zu einem anderen „Verkehrsaufkommen“ der Transportmaschinen als bei 15 Prozent.
Digitaler Zwilling ist besonders wichtig
Der digitale Zwilling ist bei der Planung eines Dark Warehouses ein zentrales Werkzeug, um später die Implementierungs- und Startphase zu verkürzen und mögliche Change Requests auf ein Minimum zu begrenzen. Er lässt sich nicht nur bei Unit-Tests von einzelnen Funktionsmodulen einsetzen, sondern auch bei komplexen Abläufen und verschiedenen Lager-Füllgraden. Eine besondere Aufgabe kommt ihm zu, wenn es darum geht, auf außergewöhnliche Situationen zu reagieren. Diese lassen sich mit einem digitalen Zwilling leicht erzeugen und dann testen, ob die geplanten Workflows reibungslos funktionieren.
Das virtuelle Abbild der künftigen Realität sorgt somit für ein umfassendes Verständnis der Abläufe. Befehlsanpassungen lassen sich spielerisch ausprobieren und zeigen, welche Geräte und Güter sich physisch wo befinden.
Phasen zum eigenen Dark Warehouse
Es ist nicht unüblich, schrittweise automatisierte Prozesse im bestehenden Lager einzuführen und so eine Teilautomatisierung zu erreichen. Unternehmen können hier sehr gute Ergebnisse erzielen. Im Fall eines Dark Warehouse ist es immer am einfachste, dieses auf der grünen Wiese zu designen und in Betrieb zu nehmen. In diesem Fall durchläuft die Planung und Implementierung folgende Phasen:
Phase 0: Für ein richtiges Design der Automatisierung (Art der Technologien, ausreichend vorhandene Geräte, Betriebslogik der Technologie) ist es wichtig, dass das Unternehmen seinem Technologiepartner mit exakten Daten zu seiner internen Logistik und den Prozessen versorgt. Je mehr Daten der Technologiepartner bekommt, desto genauer lässt sich die Lösung designen und desto realitätsgetreuer sind die Simulationen. Diese Phase sollte auf keinen Fall unterschätzt werden. Idealerweise reichen die notwendigen Daten zwei bis drei Jahre vor Beginn des Designs der Automatisierungslösung zurück. Diese Daten können aus vorhandenen digitalen Tools wie einem WMS stammen.
Phase 1: Auswahl der einzusetzenden Key-Technologien und Transportsysteme (wie etwa ASRSs oder VNAs und Vertical Lifts). In dieser Phase gilt es auch alle Prozesse und Workflows zu designen.
Phase 2: Design der Technologien, wie Förderbänder oder Depalettierer. Sie müssen dimensioniert werden, damit sie in das Lager hineinpassen und sich an der richtigen Stelle befinden, um den verfügbaren Platz so effizient wie möglich zu nutzen.
Phase 3: Erfassung, Systemintegration und Programmierung der neuen Technologien und bestehenden Systeme inklusive Aufbau des digitalen Zwillings und Testings aller Funktionen und Workflows. Dazu gehören auch die APIs und Systemschnittstellen.
Phase 4: Implementierung des Dark Warehouses mit anschließender Optimierung im Real-Betrieb und verschiedenen Auslastungen.
Die Kunst der Integration
Wer ein vollautomatisches Warenlager plant, muss das Projekt also grundsätzlich anders angehen, weil ohne Menschen Missstände nicht so schnell sichtbar werden und Fehler das ganze Lager lahmlegen können. Hier ist Know-how notwendig, das selbst in Unternehmen, die schon viele Lager betreiben, selten vorhanden ist. Experten können im Vorfeld alle kritischen Situationen ermitteln und Lösungen dafür entwickeln.
Das gilt auch für die eingesetzte Technik. Für vollautomatische Warenlager gibt es beispielsweise zahlreiche Anbieter von Transportlösungen. Aber welche Systeme gut miteinander harmonieren und sich zu einer großen, automatisierten Lösung zusammenfügen lassen, wissen Automationsexperten, die in vielen Projekten verschiedene Systeme integrieren und die Vor- und Nachteile der einzelnen Anbieter kennen.
Und natürlich braucht es für den vollautomatischen Warehouse-Betrieb ein Steuerungs- und Lager-Management-System, das als zentrale Plattform alle eingesetzten Lösungen koordiniert, steuert, Aufträge erzeugt und über Schnittstellen die Datenströme mit allen verbundenen Systemen managt. Diese Plattform sollte von Haus aus mit Warenwirtschaftssystemen (wie etwa SAP) kommunizieren können und sich flexibel konfigurieren lassen, um beispielsweise alle Ausnahmesituationen ohne manuelle Eingriffe meistern zu können.