Mobile Manipulatoren für Flügel

Die weltweit renommierte Klavier- und Flügelmanufaktur Bechstein setzt beim Verpackungsprozess der wertvollen, fragilen Instrumente zwei Sondergeräte von Genkinger ein. Es handelt sich um mobile Manipulatoren. Diese übernehmen seit kurzem zuvor händisch ausgeführte, aufwendige Hebe-, Dreh- und Kipparbeiten. Nun freuen sich die Mitarbeiter über angenehmeres Arbeiten und deren Arbeitgeber über schnellere und sicherere Prozesse.

Die Zusammenarbeit zwischen Bechstein und Genkinger begann 2007 mit der Lieferung von Geräten, die vor allem in der Fertigung des Flügel-Korpus einfache Hebe- und Kippfunktionen erfüllen. Irgendwann stellte sich die Frage, ob auch der komplexere Verpackungsprozess für die Bechstein Klaviere und Flügel – bislang eher von Muskelkraft dominiert – durch ein Genkinger Sondergerät unterstützt werden könnte.

‘Gemeinschaftswerk‘

Beim Verpacken von Klavieren wurden seit jeher einfache Hebehilfen und Kippböcke benutzt. Zwar leisteten sie Unterstützung dabei, dass Mitarbeiter eine Klimaschutzhülle am Gerät leichter überstülpen und unter Luftabsaugen eng anlegen konnten. Dennoch beruhte der Hauptanteil des Prozesses auf schierer Muskelkraft. Bei den Bechstein Flügeln war die Umhüllung sogar nur durch rein manuelle Hebe-, Dreh- und Kippprozesse mit bis zu vier Mitarbeitern möglich. Diese kamen aus verschiedenen Arbeitsbereichen zeitweise extra für dieses ‘Gemeinschaftswerk‘ zusammen.

Kein Standard

Für den gewünschten erleichterten Prozess kam ein Standardgerät jeweils nicht in Frage. Der Grund waren Störkonturen und die Tatsache, dass sowohl bei den Klavieren als auch den Flügeln verschiedene Maße von Instrumenten berücksichtigt werden mussten. Daher konnte nur ein Sondergerät die verschiedenen, zur Verpackung notwendigen Bewegungen ‘imitieren‘. Ein Grund, warum Bechstein dem Thema Sonderbau so offen gegenüberstand, war vielleicht auch, dass der Klavier- und Flügelhersteller selbst zahlreiche Sonderanfertigungen seiner Instrumente anbietet.

Pflichtenheft

Auf dem Weg zu einer Lösung machte sich Genkinger auf Basis eines Pflichtenheftes an die Umsetzung und entwickelte im ersten Schritt einen Klavier-Manipulator. Sämtliche Prozessphasen mit unterschiedlichen Handgriffen wurden analysiert, segmentiert und schließlich in technische Funktionalität, vor allem in maschinelle, per Fernbedienung gesteuerte Bewegungen übersetzt. Henry Noack, Bechstein Geschäftsführer Forschung, Entwicklung und CNC, fasst den Nutzen des Klavier-Manipulators so zusammen: „Mit dem Gerät haben wir das erreicht, was wir uns anfangs als Ziel gesetzt haben“. Martin Stotz vom Genkinger Vertriebsinnendienst ergänzt: „Gemäß den Kundenanforderungen entstand ein ausgetüfteltes, spezialgefertigtes Gerät, das es so noch nicht gab“. Erstmals sei es auf der Logimat 2023 mit einem Original Bechstein Klavier als Leihgabe gezeigt worden.

Schwierigere Herausforderung

Nach der erfolgreichen Entwicklung und Inbetriebnahme des Klavier-Manipulators konnten die gewonnenen Erfahrungen für eine noch schwierigere Herausforderung genutzt werden: zur Realisierung eines Manipulators für Bechstein Flügel. Bis dahin war das Verpacken der Flügel aufgrund der verschiedenen Hub- und Drehhöhen sowie Kippwinkel eine beschwerliche Sache. Die ungleiche Lastverteilung des Flügels stellte trotz Routinen der Mitarbeiter beim Verpackungsvorgang immer wieder eine neue körperliche und mentale Belastung dar. Nur mit bis zu acht zupackenden Händen konnte es sicher gelingen, den Flügel in die jeweiligen Positionen zu bringen, um die sackartige Klimaschutzfolie überzustülpen und eng um den asymmetrischen Instrumenten-Corpus zu wickeln. Geschlossene Bereiche wie Spielwerk, Mechanik, Klappen und Deckel sind vor solchen Bewegungen natürlich stets transportgesichert. Nach der Klimaschutzhülle folgt nur noch die Umverpackung, entweder als Kartonage für den Lkw- und Container-Transport, oder mittels Transportkisten aus Holz für den Flugversand.

Mit dem neuen Genkinger Flügel-Manipulator als Verpackungshilfe bewegt nur ein Mitarbeiter per Funkfernsteuerung die bis zu 600kg schweren, wertvollen Instrumente sicher und ohne Beschädigungen; die Kippfunktion erhielt zur Sicherheit gegen versehentliche Fehlbedienung eine Zwei-Hand-Freigabe. Ein zweiter Mitarbeiter hilft beim Abschrauben der Instrumentenfüße, bei der Montage des Transportschlittens und bei der Umhüllung. Für die Konstruktion wurden die jeweiligen Maße des kleinsten und größten Flügels für die Breiten und Auflagebereiche zugrunde gelegt. Die Kipppunkte erhielten aus Sicherheitsgründen einen Reservepuffer. „Die Effizienzsteigerung liegt bei mindestens 50 Prozent“, bilanziert Noack. „Mit den neuen Geräten für die Flügel und Klaviere hat sich die Ergonomie und der Arbeitsplatz im Hinblick auf Arbeitssicherheit sowie die erforderliche Manpower verbessert. Vor allem aber ist das körperlich Schwere an der Arbeit in den Hintergrund gerückt.“

Feedback der Bediener

Gewohnte Prozesse in produktionstechnischen Bereichen zu verändern, mag gelegentlich schwer sein – bei den Mitarbeitern bei Bechstein hingegen wurden die neuen Hilfsgeräte aufgrund der Vorteile im Arbeitsalltag schnell angenommen. Aus vielen separaten händischen Prozessen ist nun ein stringenter, aus sicherer Entfernung entspannt steuerbarer Gesamtprozess geworden. Damit werden die Musikinstrumente in jeglicher Hinsicht so schonend verpackt wie kaum zuvor in der rund 170-jährigen Geschichte von Bechstein.

Wenn auch in Produktion und Intralogistik des traditionsreichen Instrumente-Herstellers das Maschinelle immer mehr Einzug gehalten hat, bleibt Bechstein im Hinblick auf das ‚Innerste‘ der Instrumente, also Klangfarbe, Spielwerk, Resonanzböden, Hammerköpfe oder Mechanik eine einzigartige Manufaktur. Für dieses Konzept wird sie von ambitionierten Musikern bis hin zu international bekannten Pianisten geschätzt und gerühmt.